Interviews

Demenzbegleitung im Pflegeheim

Demenzbegleitung im Pflegeheim

Oliver Gutmann, der Autor von “Rosi Huber geht zum Friseur”, ist ehrenamtlicher Hospizbegleiter. In dieser Woche hat er eine neue Demenzbegleitung in einem Pflegeheim begonnen. Wir möchten unsere Leser daran teilhaben lassen. Sandra Gutmann führte dieses schriftliche Interview. Die Namen der beteiligten Personen und Einrichtungen werden wir nicht veröffentlichen.

Sandra Gutmann: Oliver, auf wessen Initiative hin ist die Einrichtung, in der du ehrenamtlich tätig bist, mit der Begleitung von Frau Schmidt* beauftragt worden?

Oliver Gutmann: Die Tochter von Frau Schmidt, die weiter entfernt wohnt, hat uns beauftragt. Sie möchte in die Begleitung einbezogen werden und von mir auf dem Laufenden gehalten werden. Ein persönliches Gespräch mit ihr steht noch aus.

Sandra: Gab es ein Vorgespräch, bevor du die Begleitung von Frau Schmidt übernommen hast?

Oliver: Ja. Es hat zwischen meiner Koordinatorin und mir stattgefunden. In diesem Gespräch wurde ich über den Gesundheitszustand von Frau Schmidt und über ihre Möglichkeiten, sich auszudrücken, informiert.

Sie ist bettlägerig und ansprechbar, kann sich aber über Sprache nicht mehr mitteilen. Mir wurde mitgeteilt, dass sie sehr körperorientiert ist und Dinge und Menschen anfassen möchte. Frau Schmidt ist in einem Pflegeheim in einem Zweibettzimmer untergebracht.

Sandra: Welche Diagnose hat der Arzt gestellt und wie alt ist Frau Schmidt?

Oliver: Demenz im fortgeschrittenen Stadium. Frau Schmidt ist 85 Jahre alt.

Sandra: Was ist beim ersten Termin passiert?

Oliver: Ich habe mich im Pflegeheim auf der Station angemeldet und nur kurz vorgestellt, da man mich schon von anderen Begleitungen kennt. Ein Pfleger hat mich zu Frau Schmidt gebracht, mich ihr vorgestellt und ihr erklärt, dass ich sie jetzt öfter besuchen komme. Dann hat er uns alleine gelassen.

Sandra: Wie hat Frau Schmidt auf dich gewirkt?

Oliver: Sie machte den Eindruck, sehr zurückgezogen und nach innen gerichtet zu sein. Frau Schmidt reagiert auf Ansprache, das heißt, sie hört, was ich sage und reagiert darauf. Wenn Du mich fragst, wie sie auf mich gewirkt hat, habe ich Traurigkeit und so etwas wie Einsamkeit gespürt. Die Bemühungen sich mitzuteilen, was ihr einfach nicht gelingen will, machen sie unruhig. Oder es macht sie unruhig, weil ich ihre Sprache noch nicht verstehe.

Sandra: Ist dir etwas Besonderes aufgefallen?

Oliver: Nichts Ungewöhnliches für einen Menschen mit Demenz. Außer, dass sie sehr durstig war. Ich habe ihr sehr oft beim Trinken geholfen. Leider hat sie schon vergessen wie bewusstes Schlucken geht. Ich habe ihr dabei geholfen, indem ich am Hals, an der Speiseröhre, leicht abwärts gestrichen habe. Frau Schmidt war sehr aktiv mit ihren Händen. Es war ihr sehr wichtig, mich zu berühren. Meine Hand zu halten, mich im Gesicht zu berühren, bis hin zum Einkrallen. Das hat etwas weh getan. Ich hatte den Eindruck, sie möchte auf diese Art etwas „begreifen“.

Der Kontakt ist noch begrenzt auf Interpretation von Regungen

Sandra: Wie bist du mit ihr in Kontakt getreten?

Oliver: Durch Ansprechen, Nennen ihres Vor- und Nachnamens, durch leichte Initialberührung an der Schulter. Da sie nicht mehr sprechen kann, ist der Kontakt eher auf Interpretation ihrer Regungen und Hineinfühlen begrenzt. Ihr Blick ist leer und starr, der Kontakt über die Augen war nicht möglich.

Sandra: Wie hat Frau Schmidt auf deine Anwesenheit reagiert?

Oliver: Anfänglich etwas ängstlich, was sich allerdings sehr schnell gelegt hat, nachdem sie mich „begreifen“ durfte. Dann war sie sehr einnehmend, fast fordernd. Immer wieder hat sie mich zu sich hergezogen. Frau Schmidt hat noch sehr viel Kraft in den Armen und Händen. Sie wurde dann etwas unruhig. Vielleicht weil ich nicht richtig geantwortet habe oder einen Wunsch nicht erfüllt habe. Ich muss sie erst noch besser kennen lernen, um ihre Sprache zu verstehen.

Sandra: Wie lange bist du geblieben?

Oliver: Eineinhalb Stunden.

Sandra: Wie oft wirst du Frau Schmidt voraussichtlich besuchen?

Oliver: Mindestens einmal pro Woche. Wenn meine Zeit es zulässt, auch öfter. Das ist der Vorteil, wenn der zu begleitende Mensch im Pflegeheim ist. Dann kann ich jederzeit hingehen und muss mich nicht mit den Angehörigen abstimmen. Häufigere Besuche fördern natürlich die Entwicklung der Beziehung.

Sandra: Was hat Frau Schmidt am Ende deines Besuches für einen Eindruck auf dich gemacht?

Oliver: Wenn ich gehe, frage ich immer, ob ich wieder kommen darf. Ich hatte den Eindruck, in ihrem Händedruck so etwas wie Zustimmung wahrgenommen zu haben. Sie war dann wieder sehr ruhig, nach innen gekehrt.

Es ist mir ein Anliegen, demente Menschen auch im Pflegeheim zu begleiten

Sandra: Wie ging es dir, nachdem du gegangen bist?

Oliver: Ich habe jetzt schon länger keine Begleitung mehr gemacht, weil ich in letzter Zeit mehr für die Trauerbegleitung Angehöriger im Einsatz war. Bei diesem ersten Besuch bei Frau Schmidt habe ich wieder gemerkt, wie sehr es mir ein Anliegen ist, demente und sterbende Menschen zu begleiten. Mir ging es gut. Ich habe noch lange darüber nachgedacht, was ich ihr „bieten“, wie ich sie noch besser verstehen kann und was sie brauchen könnte.

Ich weiß aus dem Leben von Frau Schmidt noch gar nichts. Der Biographie Bogen wurde noch nicht ausgefüllt. Ich hoffe, dass ich den bald bekomme. Wenn ich mehr Informationen über sie habe, kann ich Frau Schmidt besser erreichen.

Sandra: Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, meine Fragen zu beantworten. Darf ich nach deinen folgenden Terminen wiederkommen?

Oliver: Sehr gerne.

Sie interessieren sich für weitere Interviews? Lesen Sie hier: Hilfe durch Demenzbegleitung

Sie sind in der Pflege tätig und wünschen sich Literatur zur Demenzbegleitung im Pflegeheim? Amazon: Demenzbegleiter: Leitfaden für zusätzliche Betreuungskräfte in der Pflege

Unser Büchlein für Menschen mit Demenz finden Sie hier: Rosi Huber geht zum Friseur Rosi Huber geht zum Friseur

* Der Name wurde geändert.

Dieses Interview ist ein Erfahrungsbericht. Weder Interviewerin noch Interviewte sind Fachleute für Demenz. Bei Fragen zur Demenz konsultieren Sie bitte Arzt, Ärztin oder andere Fachleute. Eine Haftung des Gutmann Verlages, der Interviewerin oder des Interviewten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

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